Nach über zwei Monaten, in denen das öffentliche Leben in Deutschland ganz maßgeblich vom Umgang mit der COVID-19-Pandemie („Corona“) geprägt wurde, macht sich zunehmend Unbehagen über die Einschränkungen bemerkbar, die zur Eindämmung des Virus ergriffen wurden. Am vergangenen Wochenende gab es mehrere Demonstrationen mit einigen Tausend Teilnehmern, u. a. in Stuttgart und München. Ähnliche Veranstaltungen sind für dieses Wochenende erneut angekündigt. Die Demonstranten wenden sich gegen die in der Tat zum Teil massiven Grundrechtseingriffe, die mit den getroffenen Maßnahmen einhergehen. Damit lösen sie zwar zum einen – auch spöttische – Kritik („Covidioten“) aus. Zum anderen finden sie aber auch Gehör und Verständnis. In Wirklichkeit handelt es sich um ein Lehrstück über Freiheit und Verantwortung.
Schlagwort: Meinungsfreiheit
Schon seit längerer Zeit werden die Betreiber sozialer Netze im Allgemeinen und der Kurznachrichtendienst Twitter im Besonderen dafür kritisiert, gegen möglicherweise problematische Beiträge und ihre Urheber in einer intransparenten, in der Sache kaum nachvollziehbaren Art und Weise vorzugehen. Eine gesetzgeberische Reaktion darauf war das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das hier auch schon des Öfteren Thema gewesen ist (siehe zuletzt den WWWelt-Beitrag vom 6. Juli 2017). Seit Anfang Mai 2019 häufen sich nun Fälle, in denen Twitter-Nutzer gesperrt werden, weil sie gegen die unternehmensinterne „Richtlinie zur Integrität von Wahlen“ verstoßen haben sollen. Diese neue Praxis wurde unter dem Hashtag „#twittersperrt“ diskutiert. Sie wird u. a. in einem Blog-Beitrag von Rechtsanwalt Thomas Stadler– der ebenfalls von einer solchen Sperre betroffen war – gut dargestellt. Jetzt hat es auch mich erwischt. Wegen eines Tweets zum „Eurovision Song Contest“. Und es ist genauso absurd, wie es klingt.
Nachdem der Bundestagsausschuss für Recht und Verbraucherschutz am 28. Juni 2017 noch erhebliche Änderungen an dem umstrittenen Entwurf für ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) empfohlen hatte (BT-Drs. 18/13013), hat der Deutsche Bundestag den Gesetzentwurf mit diesen Änderungen am 30. Juni 2017 angenommen. Die abschließende Behandlung des Gesetzgebungsvorhabens im Bundesrat steht nun für Freitag, den 7. Juli 2017, an. Es wird gemeinhin erwartet, dass der Bundesrat dem NetzDG keine weiteren Steine in den Weg legen wird. Das umstrittene Gesetz wird damit voraussichtlich in Kraft treten, wenn der Bundespräsident nicht überraschenderweise seine Ausfertigung verweigern sollte. Nachdem die vorgesehenen Regelungen bereits zweimal Thema in diesem Blog waren, ist damit Zeit für eine kurze Zwischenbilanz aus rechtlicher und rechtspolitischer Sicht.
Die Diskussion um den umstrittenen Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) steuert langsam auf ihren parlamentarischen Höhepunkt zu. Nachdem die Bundesregierung ihre Gegenäußerung zu der Stellungnahme des Bundesrates vorgelegt hat (beide dokumentiert in Bundestagsdrucksache 18/12727), steht am morgigen Montag (den 19. Juni 2017) die öffentliche Anhörung von Sachverständigen zu diesem Gesetzgebungsvorhaben an. Ein zentraler Streitpunkt der bisherigen Auseinandersetzung bezieht sich auf die mittelbar vorgesehene Verpflichtung der „Anbieter“ sozialer Netze, offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde und andere rechtswidrige Inhalte innerhalb von sieben Tagen zu sperren oder zu entfernen. Kritiker wenden ein, dass diese – zudem an starre Fristen gebundenen – Pflichten vor allem unter dem Aspekt der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) problematisch sind. Eine kursorische Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zeigt: Diese Kritik ist berechtigt.
Die Bundesregierung hat unlängst den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) vorgelegt (BR-Drs. 315/17). Das Gesetzesvorhaben reagiert auf eine vermeintlich „massive Veränderung des gesellschaftlichen Diskurses im Netz und insbesondere in den sozialen Netzwerken“ und richtet sich gegen „Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte, die nicht effektiv bekämpft und verfolgt werden können“. Dem soll das neue Gesetz zusammen mit einer im selben Zuge geplanten Ergänzung des Telemediengesetzes (TMG) insgesamt vier Instrumente entgegensetzen: (1.) eine Berichtspflicht der „Anbieter“ sozialer Netzwerke über ihren Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte auf ihren Plattformen, (2.) die Verpflichtung zur Einrichtung eines Verfahrens über den Umgang mit solchen Beschwerden, (3.) die Benennung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten und (4.) einen Auskunftsanspruch der in ihren Persönlichkeitsrechten betroffenen Opfer entsprechender Straftaten gegen die Diensteanbieter. Dieses Maßnahmenpaket mag auf den ersten Blick weitgehend harmlos erscheinen. Der Eindruck trügt jedoch. U. a. soll das Beschwerdeverfahren gewährleisten müssen, dass der „Anbieter“ des sozialen Netzwerks offensichtlich rechtswidrige – konkret: gegen bestimmte, im Einzelnen vorgegebene Strafvorschriften verstoßende – Inhalte innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde sperrt oder entfernt und auch jenseits der Offensichtlichkeitsschwelle jeden in diesem Sinne rechtswidrigen Inhalt innerhalb von sieben Tagen sperrt oder entfernt. Die gesetzlichen Verpflichtungen sind überdies z. T. unter im Einzelnen nicht ganz klaren Voraussetzungen mit Bußgeldern in Höhe von bis zu 50 Millionen Euro bewehrt. Gerade auch in den sozialen Netzen hat sich daher ein Sturm der Entrüstung gegen den Entwurf des NetzDG entfacht. Das ist angesichts der für Meinungsblasen typischen Empörungstendenz an sich nicht verwunderlich. Bemerkenswert ist jedoch, dass das Gesetzesvorhaben auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum mit singulären Ausnahmen fast ausschließlich auf Kritik gestoßen ist.