Die in den Kindergärten und Kindertagesstätten dieser Republik arbeitenden Erzieher:innen dürfte in den letzten Monaten des Öfteren ihren Ohren nicht getraut haben. Laut sang die Politik das Lied von der Bedeutung der Betreuung für das Wohlergehen der Kinder, als es darum ging, die Kitas während der Corona-Pandemie weitestgehend offenzuhalten. Was dieses Bekenntnis zu einer zuverlässigen und hochwertigen Kinderbetreuung tatsächlich wert ist, wird sich nun zeigen: Für den morgigen Dienstag hat die Gewerkschaft ver.di nämlich bundesweite Warnstreiks in Kitas angekündigt, nachdem die erste Verhandlungsrunde zwischen ver.di und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) in den Tarifverhandlungen für den Sozial- und Erziehungsdienst gescheitert war. Das lässt auch mich als Vater eines Kindergartenkinds nicht kalt.

Worum geht es?

Allerdings sorge ich mich nicht so sehr über den möglicherweise anstehenden Betreuungsausfall aufgrund des Streiks. Vielmehr ist aus meiner Sicht eine erhebliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Erziehungsbereich erforderlich. Denn wir leben ohnehin schon mit einem hohen Maß an Betreuungsausfall – und das, obwohl die Erzieher:innen vor Ort sich alle Mühe geben, solche Einschränkungen weitestmöglich zu minimieren.

Da wir als Eltern nicht mit am „Verhandlungstisch“ sitzen, haben meine Frau und ich uns heute mit einem Schreiben an die Seite der kommunalen Arbeitgeber gewandt. Konkret haben wir Frau Welge, die Oberbürgermeisterin der Stadt Gelsenkirchen und amtierende Präsidentin des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Nordrhein-Westfalen (KAV NW), sowie Frau Dörner, „unsere“ Oberbürgermeisterin hier in Bonn, angeschrieben. Dieses Schreiben wird hier nachfolgend dokumentiert – mit der herzlichen Einladung, es als Blaupause für ein eigenes Schreiben zu verwenden. Adressiert haben wir das Schreiben an die im WWW veröffentlichten E-Mail-Adressen <oberbuergermeisterin@gelsenkirchen.de> und <katja.doerner@bonn.de>.

Das Schreiben

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Welge, sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Dörner,

gestatten Sie uns bitte, uns anlässlich des morgen anstehenden Warnstreiks im Sozial- und Erziehungsdienst an Sie zu wenden, und zwar an Sie, Frau Welge, als Präsidentin der kommunalen Arbeitgeber in NRW und an Sie, Frau Dörner, als Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn, in der unser dreijähriger Sohn eine städtische Kindertagesstätte besucht.

Morgen werden bundesweit und auch in NRW streikbedingt Kitas schließen. Und anders als von ver.di erhofft, beeindruckt jedenfalls uns als Eltern das leider wenig. Denn wir leben schon seit Monaten mit kurzfristigen Ausfällen und tageweisen Schließungen jedenfalls einzelner Kindergartengruppen. Ursache dafür sind nur vordergründig die Corona-Pandemie und daraus folgende Personalausfälle. Vielmehr treffen diese Ausfälle auf einen ausgedünnten Personalbestand mit einer hohen Zahl unbesetzter Stellen. Sie verschärfen somit nur den ohnehin bestehenden Mangel. Aus unserer Elternsicht ist daher das eigentliche Ärgernis nicht ein etwaiger Streik. Sondern es ist die unzureichende Personalausstattung der Kitas. Und das schreiben wir aus der privilegierten Situation einer Familie, die das Glück hatte, überhaupt einen Kindergartenplatz zu erhalten. Auch der diesbezügliche Mangel hat Medienberichten zufolge einen Hauptgrund: Personalmangel.

Hinzu kommt, dass die Beschäftigten in den Kindertageseinrichtungen in den letzten beiden Jahren erhebliche Belastungen auf sich nehmen mussten, um mit zum Teil größtem persönlichen Einsatz die gigantischen Herausforderungen zu meistern, die sich beim Umgang mit der Corona-Pandemie gestellt haben. Der ständige Konflikt zwischen den widerstreitenden Interessen, der Umgang mit sich laufend ändernden rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen und nicht zuletzt die Sorge um die eigene Gesundheit haben von den Erzieher:innen Beachtliches abverlangt. Auch das macht den Beruf nicht attraktiver und verlangt im Gegenteil nach einer deutlichen Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen. Aus unserer Sicht besteht daher kein Zweifel daran, dass der Beruf als Erzieher:in dringend einer erheblichen Aufwertung bedarf.

Wir appellieren daher nachdrücklich an Sie, Ihre Position im Bereich der kommunalen Arbeitgeber dafür zu nutzen, auf einen schnellen Abschluss der Tarifrunde 2022 für die Sozial- und Erziehungsdienste hinzuwirken, der vor allem mit substantiellen Verbesserungen für die Erzieher:innen einhergehen muss.

Uns ist natürlich bewusst, dass die öffentlichen Arbeitgeber nur überschaubare finanzielle Spielräume haben – die durch Corona, die Herausforderungen des Klimawandels und aktuell die Folgen des Ukraine-Kriegs jedenfalls kurzfristig noch enger werden dürften. Allerdings wurde gerade in den letzten Monaten von Seiten der Politik – insoweit völlig zutreffend – auf die große Bedeutung einer qualitativ hochwertigen und zuverlässigen Betreuung unserer Kinder hingewiesen. Das darf nicht nur ein Lippenbekenntnis sein, das selektiv genutzt wird, um eine bestimmte Vorgehensweise im Umgang mit der Pandemie zu rechtfertigen. Sondern dieser Erkenntnis müssen nun auch Taten folgen, selbst wenn diese die öffentlichen Haushalte belasten.

Insoweit bitten wir Sie höflichst, bestehende Spielräume zu nutzen und nötigenfalls neue Spielräume zu schaffen. Es ist beispielsweise zwar sicherlich schön, wenn die letzten beiden Kita-Jahre elternbeitragsfrei sind. Noch schöner ist aber eine verlässliche Kinderbetreuung. Diese ist für uns im Moment jedoch nur eingeschränkt gewährleistet. Uns ist bewusst, dass Sie als kommunale Arbeitgeber die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht unmittelbar beeinflussen können. Sie können und müssen aber schlichtweg dafür sorgen, dass die Kommunen ihre Verpflichtung zur Bereitstellung von Kindergartenplätzen uneingeschränkt erfüllen können. Das wird nur mit mehr Personal möglich sein – und hierfür bedarf es substantiell verbesserter Arbeitsbedingungen. Wir als Eltern bitten Sie herzlich, sich hierfür im Rahmen der aktuellen Tarifrunde einzusetzen.

Mit vielem Dank und mit freundlichen Grüßen

[Unterschrift]
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Andreas Blohm

Andreas Blohm

Lebt als Vater von drei Kindern und arbeitet als Volljurist in Bonn. Politisch und musikalisch gleichermaßen interessiert wie untalentiert. Bloggt hier unregelmäßig über Banales und Basales.