Spät, aber noch vor der vorgezogenen Bundestagswahl wird in der kommenden Woche möglicherweise eine Beschlussvorlage im Deutschen Bundestag behandelt, die auf ein Verbot der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) zielt. Das wird aber nicht ausreichen. Die größte Chance für ein entsprechendes Verbotsverfahren bietet die Einleitung eines eigenen Antragsverfahrens durch die amtierende Bundesregierung. Deshalb ist es wichtig, auf eine solche Entscheidung hinzuwirken, so unwahrscheinlich sie bei Lichte betrachtet auch sein mag.

Warum reicht die Behandlung der Beschlussvorlage nicht aus?

Grundsätzlich wäre es ein erfreuliches Zeichen der wehrhaften Demokratie, wenn der Deutsche Bundestag einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht stellen würde, die Verfassungswidrigkeit der AfD festzustellen. Genau darauf zielt die aktuelle Beschlussvorlage, die 113 Abgeordnete mit ihrem Antrag eingebracht haben (BT-Drs. 20/13750).

Dieser Antrag soll zwar nun auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestags gesetzt werden. Es ist allerdings schon offen, ob über die Vorlage dann im Plenum abgestimmt wird oder ob der Antrag nicht vorerst an die zuständigen Ausschüsse verwiesen wird. Wenn es tatsächlich zur Abstimmung kommen sollte, ist außerdem zweifelhaft, ob der Antrag die notwendige einfache Mehrheit finden würde. Und selbst in dem Fall, dass dies tatsächlich gelingen sollte, würde der dann getroffene Beschluss mit dem Ende der Wahlperiode wohl der sachlichen Diskontinuität anheimfallen, wie Eva Isabell Martin, Sven Siebrecht und Janosch Wiesenthal im Verfassungsblog dargelegt haben.

Antrag der Bundesregierung als Alternative

Die drei Rechtswissenschaftler:innen haben aber auch einen Weg aus dieser Sackgasse aufgezeigt: Die noch amtierende Bundesregierung könnte einen eigenen Antrag beim Bundesverfassungsgericht stellen. Dieses Verfahren wäre nicht mit Ablauf der Wahlperiose hinfällig. Natürlich wäre auch das kein Allheilmittel, zumal es die neue Bundesregierung in der Hand hätte, den Antrag wieder zurückzunehmen. Und genauso natürlich wäre es ein starkes Zeichen, sollte der Deutsche Bundestag mehrheitlich für die Einleitung eines entsprechenden Verbotsverfahrens stimmen. Doch das eine ist Zukunftsmusik und das andere keine Voraussetzung dafür, dass die amtierende Minderheitsregierung aus SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in eigener Verantwortung entscheidet.

Bisher gibt es leider kein Anzeichen dafür, dass die Scholz/Habeck-Regierung ein solches Vorgehen in Betracht zieht. Das liegt zum einen sicherlich daran, dass die öffentliche Diskussion bisher sehr stark auf einen Verbotsantrag des Deutschen Bundestags fokussiert ist. Und zum anderen hat sich Bundeskanzler Scholz immer wieder skeptisch zu einem entsprechenden Verbotsverfahren zum jetzigen Zeitpunkt geäußert. Umso wichtiger ist es, hier nun zeitnah für Bewegung und ein Umdenken zu sorgen.

Wie realistisch es ist, dass das gelingen kann, sei dahingestellt. Bis vor kurzem hätte man es allerdings auch nicht für realistisch gehalten, dass sich ein christdemokratischer Parteivorsitzender offen für eine Unterstützung seiner Politik durch eine verbreitet für verfassungsfeindlich erachtete Partei zeigt. Die Zeiten ändern sich derzeit schnell. Und das muss ja nicht immer nur zum Schlechteren sein.

Meine Frau und ich haben daher einen offenen Brief an Bundeskanzler Scholz und Vizekanzler Habeck verfasst. Ein einzelner Tropfen hölt dabei natürlich keinen Stein. Wir würden uns daher sehr freuen, wenn sich möglichst viele unserem Versuch anschließen würden. Gerne darf unser Text hierfür vollständig oder auch in Teilen verwendet oder abgeändert werden. Nachrichten an Bundeskanzler Scholz können über ein WWW-Formular versendet werden, Nachrichten an Vizekanzler Habeck per E-Mail. Der offene Brief knüpft inhaltlich an einen Brief an, den wir letzte Woche Jessica Rosenthal als hiesiger Bundestagsabgeordneter der SPD geschickt haben.

Der offene Brief

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrter Herr Vizekanzler,

in der nächsten Woche soll im Deutschen Bundestag über den Antrag von Bundestagsabgeordneten aus verschiedenen Fraktionen auf Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der AfD debattiert werden. Wir bitten Sie vielmals, diesen Antrag in Ihrer Eigenschaft als Bundestagsabgeordnete zu unterstützen. Vor allem aber bitten wir Sie, als Bundeskanzler und Vizekanzler einen eigenständigen Antrag der Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht in die Wege zu leiten, um die Verfassungswidrigkeit der AfD feststellen zu lassen.

Die AfD, die alles andere ist als eine Alternative für Deutschland, befindet sich in einem rasanten Radikalisierungsprozess – und das, obwohl sie schon seit 2019(!), mittlerweile gerichtlich bestätigt, vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall geführt wird. Einzelne Landesverbände der Partei werden sogar als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Auch das mit gerichtlichem Segen: Erst Anfang der vergangenen Woche hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht eine entsprechende Rechtsbeschwerde der Partei zurückgewiesen. Dem Erfolg der AfD bei den Wähler:innen hat das offensichtlich keinen Abbruch getan, wie die letzten Landtagswahlen in Ostdeutschland gezeigt haben. Ihre bundesweiten Umfragewerte befinden sich ebenfalls im Höhenflug.

Zugleich vergiftet die AfD das politische Klima. Rechtsextreme Positionen werden zunehmend in die Mitte der Gesellschaft hineingetragen. Trotz des offensichtlichen Risikos eines Verbotsverfahrens lässt sich die AfD nicht davon abhalten, noch radikalere Töne anzuschlagen, von der Forderung nach „Remigration“ bis zur Verwendung des auf die SA-Losung anspielenden Slogans „Alice für Deutschland“. Damit macht sich die Partei zugleich über die bisherigen Bemühungen des deutschen Rechtsstaats lustig, sie in die Schranken der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu weisen. Der Versuch, die Partei im Diskurs „zu stellen“, ist ebenfalls gescheitert, da sie sich den Regeln einer faktenbasierten Diskussion entzieht. Wie die Erfahrungen aus den USA und Österreich zeigen, wird er auch künftig keine Aussicht auf Erfolg haben.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrter Herr Vizekanzler,

es kann kaum einen besseren Zeitpunkt für eine rot-grüne Bundesregierung geben, um sich für einen Verbotsantrag gegen die AfD stark zu machen, als die Woche, die mit dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust beginnt. Wohin es ganz schnell führen kann, wenn der Rechtsstaat Rechtspopulisten gewähren lässt, können wir aktuell in den USA beobachten. Und damit meinen wir noch nicht einmal in erster Linie, dass bereits am Tag der Amtseinführung von Präsident Trump sein bekanntester Unterstützer offen den „Hitlergruß“ gezeigt hat.

Wie wir leider in den letzten Jahren lernen mussten, ist eine solche Entwicklung auch in der Bundesrepublik nicht ausgeschlossen. Alle strafrechtlichen Verurteilungen führender AfD-Politiker, alle nachrichtendienstlichen Erkenntnisse, alle offen zur Schau gestellte Menschen- und Verfassungsfeindlichkeit hält zu viele unserer Mitbürger:innen leider nicht davon ab, diese Partei zu unterstützen. Manche ostdeutschen Länder befinden sich wegen der Stärke der AfD bereits jetzt an der Grenze zur Unregierbarkeit. Das wiederum dient einem Teufelskreis gleich einzig und allein der AfD und der von ihr propagierten Verachtung des Parlamentarismus. Der aktuell Vorstoß des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz lässt erahnen, dass die AfD auch in der Bundespolitik demnächst ihre faktische Machtposition vermehrt ausspielen kann, um den demokratischen Parteien auf der Nase herumzutanzen. Das Vertrauen in die Stabilität der „Brandmauer“ sinkt derzeit von Tag zu Tag.

Deswegen bitten wir Sie eindringlichst: Handeln Sie jetzt, bevor es zu spät ist! Die Argumente, die gegen ein Verbotsverfahren sprechen, sind längst widerlegt. Genau für einen Fall wie die AfD sieht unser Grundgesetz ein Parteiverbotsverfahren vor. Otto Wels und die damaligen Genoss:innen haben 1933 nicht gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt, damit wir es nun versäumen, von den aus den Erfahrungen der Folgezeit gespeisten Instrumenten zum Schutz der Demokratie Gebrauch zu machen. Das Argument, dass es einer breiten parlamentarischen Mehrheit für einen entsprechenden Verbotsantrag bedürfte, hätte zur Folge gehabt, dass ein Verbot der NSDAP wohl schon 1928, spätestens aber 1930 nicht mehr in Frage gekommen wäre. Ein solches Verständnis kann nicht richtig sein.

In vermutlich leider nicht allzu ferner Zeit wird schließlich der Punkt erreicht sein, in dem es schlichtweg nicht mehr möglich ist, ein Verbotsverfahren gegen die AfD erfolgreich zu führen. Je mehr diese Partei Zugriff auf die Verfassungsschutzämter und deren Kontrolle bekommt, je eher sie in die Lage versetzt wird, bei der Besetzung von Richterposten auch, aber nicht nur an den Verfassungsgerichten mitzureden, umso schwieriger wird es werden, sich mit den Mitteln des Rechtsstaats gegen seine Bedrohung zur Wehr zu setzen. So weit dürfen wir, so weit dürfen Sie es bitte nicht kommen lassen.

Mit hoffnungsvollen Grüßen

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Andreas Blohm

Andreas Blohm

Lebt als Vater von drei Kindern und arbeitet als Volljurist in Bonn. Politisch und musikalisch gleichermaßen interessiert wie untalentiert. Bloggt hier unregelmäßig über Banales und Basales.